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22.09.2012

Medizinische Forschung über Gesundheitsfolgen von Atom-Katastrophen erheblich ausweiten

Die Ärzteorganisation IPPNW fordert eine erhebliche Ausweitung der medizinischen Forschung über die Gesundheitsfolgen von atomaren Katastrophen wie Fukushima. Dringend notwendig seien unabhängige epidemiologische Studien sowie die baldige Einrichtung eines umfassenden Registers, in dem alle Menschen erfasst werden, die aufgrund der Katastrophe von Fukushima vermutlich mehr als 1 mSv Strahlung durch unterschiedliche Quellen ausgesetzt waren.

Die Ärzteorganisation IPPNW appelliert an die Bundesregierung, sich gegenüber UNSCEAR, dem wissenschaftlichen Komitee der UNO, und gegenüber der Weltgesundheitsorganisation WHO dafür einzusetzen, die medizinische Forschung über die Gesundheitsfolgen der atomaren Katastrophe von Fukushima erheblich auszuweiten. Die von UNSCEAR geplante Studie soll ausschließlich grobe Abschätzungen verschiedener japanischer und internationaler Experten berücksichtigen, aus denen dann die zu erwartenden Gesundheitseffekte theoretisch abgeleitet werden.

Diese Studien dürften sich nicht auf das Schilddrüsen-Screening der Kinder (wie bisher im regelmäßig erscheinenden Fukushýma-Gesundheitsreport geschehen) begrenzen, sondern müssten umfangreiche Untersuchungsdaten auch für andere mögliche Erkrankungen wie sie nach der Tschernobylkatastrophe beobachtet wurden, umfassen. Das ist das Fazit der beiden IPPNW-Ärztinnen Dr. Angelika Claußen und Dr. Dörte Siedentopf.

Am 28. August 2012 besuchte eine dreißigköpfige internationale Expertengruppe die Präfektur von Fukushima, darunter die deutschen Ärztinnen Dr. Angelika Claußen und Dr. Dörte Siedentopf. Durch persönliche Gespräche mit Müttergruppen und Evakuierten einerseits sowie durch Gespräche mit unabhängigen japanischen Experten andererseits machten sie sich ein Bild davon, wie die Behörden, aber auch ein Teil der Mediziner das Risiko der dauerhaft erhöhten Radioaktivität für die Bevölkerung systematisch verharmlosen. So werden z.B. nach erfolgter Dekontamination große Gebiete für risikolos erklärt, 10 m von der Messstelle jedoch erneut hohe Strahlenwerte gemessen, die den Jahresgrenzwert von 1 mSv überschreiten. „Wo soll eine Mutter dort ihr Kind spielen lassen?“ fragt Dr. Dörte Siedentopf.

Im Sommer 2012 hat die japanische Zentralregierung mit der Dekontamination und der Sanierung der radioaktiv verseuchten Böden in 11 Gemeinden der Präfektur Fukushima begonnen. Diese Gemeinden liegen entweder innerhalb der 20 km Zone oder in einer der nordwestlich angrenzenden Zonen außerhalb des Sperrgebietes. Aber auch außerhalb dieser Zone befinden sich noch 104 Gemeinden in 8 Präfekturen, deren Verstrahlung über 1 mSv/Jahr beträgt, dem Grenzwert, den das internationale Strahlenschutzkomitee für die Zivilbevölkerung empfiehlt. Die japanische Regierung und die lokalen örtlichen Behörden werben trotz hoher Verstrahlung für die baldige Rückkehr der evakuierten Bevölkerung einschließlich der Kinder.

In der stark kontaminierten Gemeinde Iitate (rund 40 Kilometer nordwestlich des Atomkraftwerks) hat Dr. Claußen Werte von 1,9 Mikrosievert/Stunde bis 43,85 Mikrosievert/Stunde gemessen. Die Bewohner von Iitate wurden viel zu spät evakuiert, denn der Bürgermeister wollte „seine Stadt Iitate“ halten und hat sich lange gegen die Evakuierung gewehrt. Tausende Evakuierte aus den Tsunami-Gebieten waren in seinem Dorf untergebracht. Erst nachdem kritische Wissenschaftler Anfang April in Tokio Messungen vorlegten, die die hohe Gefährdung für die Bevölkerung aufzeigten, gab die Zentralregierung am 12. April 2012 bekannt, dass Iitate evakuiert muss.

Jodtabletten wurden weder in Itate noch in den verstrahlten Gebieten verteilt. In Fukushima-Stadt, ca. 60 km vom Kraftwerk entfernt, und Aufnahmeort für viele Evakuierte aus der verstrahlten Region, schwanken die aktuellen Strahlenwerte zwischen 0,25 Mikrosievert bis zu 2 Mikrosievert pro Stunde. Das würde hochgerechnet einem Wert zwischen 2,25 Millisievert und 18 Millisievert jährlich an zusätzlicher radioaktiver Strahlung entsprechen. „Selbst ein Krankenhaus liegt in einem Hot Spot in Fukushima“, empört sich Dr. Claußen. „Warum wird es nicht geschlossen? Darauf bekamen wir keine Antwort von den Behörden.“

Zum Vergleich: Südbayern wurde nach der Tschernobylkatastrophe mit 1 Millisievert pro Jahr an zusätzlicher Strahlung kontaminiert. Hier stieg die Zahl der Fehlbildungen und Totgeburten nach der Tschernobylkatastrophe signifikant an im Gegensatz zu Nordbayern, das deutlich weniger verstrahlt war.

Für den Gesundheitsberater der Präfektur und Vize-Präsidenten der Medizinischen Universität Fukushima, Prof. Shunichi Yamashita, ist Radioaktivität jedoch bis zu einem Grenzwert von 100 mSv ungefährlich. Die Ergebnisse aus seiner Forschungsgruppe, dass 35 Prozent der mit Ultraschall untersuchten Kinder aus der Fukushimaregion Schilddrüsenknoten und Schilddrüsenzysten aufweisen, sind für ihn normal. Die Kinder sollen erst wieder in zweieinhalb Jahren zur Routinekontrolle kommen. Ärzte aus anderen Regionen, an die sich Mütter aus der Präfektur Fukushima mit der Bitte um eine Zweitmeinung gewandt haben, wurden durchweg abgewiesen, weil Prof. Yamashita das so angeordnet habe.

Die positive Nachricht: In Japan haben sich überall im Land Antiatomgruppen gebildet, die sich für Aufklärung und den sofortigen Atomausstieg in Japan einsetzen. Unterstützt werden sie von freien Journalist/innen und Akteur/innen der alternativen Internet-Medien. Es ist der „Aufstand der Amateure – Shiroto no Ran“. Jeden Freitag demonstrieren sie in den großen Städten Japans und fordern das vollständige Aus für die Atomenergie.

Eine kritische Analyse des WHO-Reports vom Mai diesen Jahres von Dr. Alex Rosen finden Sie unter http://www.fukushima-disaster.de/fileadmin/user_upload/pdf/deutsch/ippnw_analyse_who_report_fukushima_140912.pdf

Quelle: Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW)


  

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